ICQ - adieu!

Der gute alte Messenger wird abgeschaltet
   

Kennen Sie noch Ihre ICQ-Nummer? Wenn die Antwort „Bitte was?“ lautet, dann können Sie getrost weiter Ihrem Tagewerk nachgehen. Aber vielleicht geht es Ihnen ja wie uns. Ein kurzes, verklärtes Lächeln, ein Hauch von Wehmut. Erinnerung an eine Zeit, in der das Internet noch neu und spannend war und vergleichsweise unschuldig. Mitte der 90er Jahre war das, gar nicht so lange her – und doch fühlt es sich manchmal an wie eine halbe Ewigkeit.

Man stelle sich vor: Facebook gab es noch nicht und Google auch nicht, YouTube nicht, WhatsApp nicht und TikTok erst recht nicht. Während das Faxgerät in der Geschäftswelt Fortschrittlichkeit signalisierte, haftete dem Telefon immer noch ein wenig das „Fasse dich kurz“ früherer Zeiten an. Nur ganz wichtige Leute hatten schon eins für die Hosentasche, mit dem sie telefonieren konnten und ein wenig angeben – und sonst nichts.

Facebook gab es noch nicht und Google auch nicht, YouTube nicht, WhatsApp nicht und TikTok erst recht nicht.

Es war eine israelische Firma, die sich Mitte der 90er Jahre sinngemäß gesagt haben muss: E-Mail ist schnell, aber es geht noch schneller. Wir lassen die Leute am Computer in Realzeit miteinander kommunizieren, schriftlich, kurz und knapp. Eine ähnliche Idee verwirklichte zur selben Zeit die gute alte Bundespost in Deutschland, nannte es SMS und berechnete pro Botschaft anfangs 39 Pfennige. Die israelische Firma nannte ihren Dienst ICQ, abgeleitet von „I seek you“, was wörtlich übersetzt „Ich suche dich“ bedeutet, aber wohl eher „Lass uns chatten“ signalisierte. Und zwar kostenlos.

100 Millionen Nutzer in zwei Jahren: Der erste Messenger war ein ungeheurer Erfolg. Verband Familien miteinander und Freunde, Kollegen und Gleichgesinnte, Individuen und Gruppen. Darunter nicht ganz unbedeutend die wachsende Community der Gamer, die sich über ICQ vernetzten, verabredeten und verständigten. Das war dem damaligen Internetriesen AOL 407 Millionen Euro wert. Zu seinen besten Zeiten, um die Jahrtausendwende, zählte der ICQ Messenger weltweit rund 200 Millionen Nutzer.

Zu seinen besten Zeiten, um die Jahrtausendwende, zählte der ICQ Messenger weltweit rund 200 Millionen Nutzerinnen und Nutzer.

Doch die besten Zeiten währten trotz mächtiger Muttergesellschaft nicht lange. Da war zunächst die Konkurrenz AIM aus dem eigenen Hause, die zeitweise unter AOL-Kunden recht populär war. Microsoft ließ nicht lange auf sich warten, Facebook und Co. flanschten ihren Plattformen eigene Chat-Funktionen an und die großen Entwickler ihren Spielen auch. Ab 2003 wurde Skypen noch cooler als Chatten, bevor Apple das schnöde Handy mit dem ersten iPhone 2007 in die höheren Sphären des Smartphones katapultierte. Die bereits vorinstallierte Messenger-App hieß damals schlicht und einfach Text.

Vor dem Hintergrund der knallharten Konkurrenz in der Branche ist es eigentlich erstaunlich, dass sich ICQ so lange gehalten hat. Das lag einerseits an der ständigen Weiterentwicklung, die schon frühzeitig den Austausch von Dokumenten, Fotos, Sprachnachrichten und Videos ermöglichte. Genauso wesentlich war aber auch eine gewisse – nennen wir es Knuffigkeit.

Intuitiv in der Bedienung, charmant in der Grafik, augenzwinkernd das „Uh oh!“, das neue Nachrichten ankündigte. Die Werbung eher unaufdringlich, die Mitgliedschaft anonym, die Daten nicht mit der Person verknüpft – ICQ war nicht nur geschätzt, sondern auch beliebt, nicht nur nützlich, sondern auch ehrlich und irgendwie nett.

Wesentlich war aber auch eine gewisse – nennen wir es Knuffigkeit.

Gerettet hat das den Großvater aller Messenger allerdings nicht. Der stetige Rückgang der Nutzerzahlen konnte auch unter russischer Leitung ab 2010 nicht gestoppt werden. Ein letztes Aufbäumen als „ICQ New“ vor vier Jahren brachte nicht den erhofften Umschwung. ICQ wird am 26. Juni 2024 im Alter von 28 Jahren ausgeknipst.

Als Entwickler des Enkel-Messengers „ownChat“ stimmt uns das melancholisch. Weil ICQ ein netter Messenger war, immer hilfsbereit, ohne aufdringlich zu sein, immer gradlinig, ohne doppelten Boden. So, wie ein Messenger sein sollte. So, wie unser ownChat auch heute noch ist – und immer bleiben wird. Das wiederum finden wir beruhigend.